Zeit für Individualität

Gerrit wünscht sich mehr Zeit für Individualität im Lehramtsstudium.

Individualität klingt erst mal nach Mate, Jutebeutel und Hornbrille. Für mich soll es hier aber nicht darum gehen, der eigenen Einzigartigkeit im Sinne von „Hipster-Style“ Ausdruck zu verleihen,  sondern um die Frage:

Wie können wir der Lernheterogenität von Lehramtsstudierenden in angemessener Form gerecht werden?

Dazu denke ich gerne an mein Auslandsstudium in den USA zurück. Hier ist Heterogenität nicht nur ein Thema für Schulen, sondern auch für Universitäten. Auch dort gibt es verpflichtende Module für alle Studierenden und trotzdem kann jeder auch in Pflichtmodulen nach seinen Interessen lernen. Das liegt an den vorherrschenden Prüfungs- und Lernformen. Zum Vergleich: während in Deutschland Studierenden am Ende des Semesters hektisch in der Bib büffeln um sich Lernstoff reinzupressen, gab es in den USA diverse kleinere Prüfungsformen pro Modul. Das heißt nicht nur nachhaltigeres, da verteiltes Lernen, sondern auch individuelleres Lernen.

Neben den obligatorischen Klausuren, die Grundwissen sichern und die es auch in den USA in jedem Kurs gibt, gibt es zusätzlich die Möglichkeit offenere Prüfungsformen einzubauen. So habe ich eine Hausarbeit über Achtsamkeitsmeditation und ihre Auswirkungen auf meine Persönlichkeitsentwicklung geschrieben, in einem Lerntagebuch über meine Leseerfahrungen mit afroamerikanischer Literatur reflektiert oder entscheiden können, dass ich mir Extrapunkte für eine Philosophie-Klausur dadurch verdienen möchte, dass ich auf einer Seite darstelle, warum es Gott nicht (nicht) geben kann.

Das alles hatte zwei positive Effekte: Zum einem habe ich mich als erwachsenes Individuum wertgeschätzt gefühlt. Die Dozierende sind auf meine individuellen Erfahrungen eingegangen, haben mir dazu wertvolles Feedback gegeben und haben die Erfahrungen aller Studierenden für den Kurs nutzbar gemacht. Zum anderen habe ich in meinen zwei Semestern in den USA unendlich viel gelernt, das mir auch heute noch präsent ist.

Mein Wissen wurde mit eigenen, individuellen Erfahrungen, Emotionen und Entscheidungen verknüpft – das bleibt hängen.

Immer wieder höre ich: wenn Uni so ist, dann ist sie doch wie Schule! Dann sind wir unfrei, weil wir ständig Aufgaben erfüllen müssen! Dann werden wir gezwungen anwesend zu sein, weil wir ja ständig Tests schreiben müssen! Auch hierfür gibt es in den USA eine Lösung. Von 10 Test werden nur die Besten 8 in die Wertung mit aufgenommen. Und wer einen Test verpasst hat, kann ihn nachschreiben. Das ist flexibel und macht uns Studierende freier. Wenn nicht mehr nur eine Note zählt, können wir entscheiden, wann wir Lernen. Wir Lernen nachhaltiger. Und wir haben Zeit für Prüfungsformen, die unserer Individualität gerecht werden.

Man muss den USA nicht alles nachmachen. Das allerdings schon.

Autor: Gerrit