Therapie im Lehramtsstudium: Angst um die Verbeamtung
In diesem Artikel geht um psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Essstörungen.
Immer noch zögern viele Lehramtsstudierende bei dem Schritt, sich in professionelle Hilfe zu begeben – aus Angst, nicht verbeamtet zu werden. Laut dem Barmer-Arztreport 2018 leiden jedoch „[i]mmer mehr junge Menschen unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Panikattacken“, der Anteil 18- bis 25-Jähriger mit einer psychischen Diagnose ist in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. Laut Prof. Dr. Christoph Staub, dem Vorstandsvorsitzenden der Barmer, liegt das Problem in Zeit- und Leistungsdruck unter Akademikerinnen und Akademikern in Kombination mit finanziellen Sorgen und Zukunftsängsten. „[M]ehr niederschwellige Angebote können helfen, psychische Erkrankungen von vornherein zu verhindern.“
Diese gibt es bereits vielerorts, angeboten beispielsweise durch die psychologische Erstberatung der Studierendenwerke in den Unistädten. Im Lehramtsstudium hält sich jedoch immer noch hartnäckig, dass eine angehende Lehrkraft nicht verbeamtet würde, entscheide sie sich vor der Verbeamtung zu diesem Schritt. Durch die amtsärztliche Untersuchung soll festgestellt werden, ob eine Lehramtsanwärterin oder ein Lehramtsanwärter für den Staatsdienst geeignet sei, auch gesundheitlich.
Laut dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.10.2013 (Az: 2 C 16/12) reicht jedoch nicht nur der bloße Zweifel, der aufgrund der amtsärztlichen Untersuchung am Gesundheitszustand einer Lehramtsanwärterin oder eines Lehramtsanwärters gehegt wird: Es müssen tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sein, dass die Anwärterin oder der Anwärter in Zukunft regelmäßig ausfallen oder gar vorzeitig dienstunfähig werden wird. Wie genau jedoch diese tatsächlichen Anhaltspunkte charakterisiert werden, ist unklar. Dafür bleiben viele Unsicherheiten und die Angst vor dem entscheidenden Amtsarztbesuch.
Vier Studierende, die anonym bleiben möchten, berichten hier von ihren unterschiedlichen Erfahrungen in Bezug auf eine Therapie und das Lehramtsstudium.
In meiner Jugend war ich mehrere Jahre in Behandlung wegen einer Essstörung. Damals habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, ob mir das zukünftig einmal schaden würde – und dafür bin ich sehr dankbar! Denn der Schritt, mich in professionelle Hilfe zu begeben, war schon ohne solche Sorgen schwer genug. Einige Jahre später habe ich mein Lehramtsstudium begonnen und mir eigentlich keine Gedanken darüber gemacht, ob mir wegen meiner abgeschlossenen Therapie, welche bereits einige Jahre zurückliegt, die Verbeamtung verwehrt werden könnte. Schließlich bin ich seit langer Zeit stabil und fühle mich gesund! Dass daran Zweifel gehegt werden könnten, finde ich erschreckend. Nur weil ich mich in der Vergangenheit wegen dieser Krankheit habe behandeln lassen, heißt das doch nicht automatisch, dass das Krankheitsbild in Zukunft weiter bestehen wird! Doch auch ich habe schon von Fällen gehört, in denen Personen trotz zurückliegender, abgeschlossener Therapie die Verbeamtung verwehrt wurde. Diese Unsicherheit belastet mich natürlich, aber bei einem bin ich mir doch ziemlich sicher – wir haben einen immensen Lehrkräftemangel und irgendwie wird sich für mich schon die Möglichkeit ergebenen, als Lehrkraft tätig zu sein, egal ob nun mit oder ohne Beamtenstatus. Dass ich heute gesund bin, wiegt schwerer als eine eventuelle nicht-Verbeamtung.
"Ich würde gerne eine Therapie machen. Seit mehreren Jahren schon. Aber ich habe schon so viele Horrorstorys über die amtsärztliche Untersuchung gehört – ich habe wirklich Angst, nicht verbeamtet zu werden. Seit Corona geht es mir nun noch schlechter. Ich fühle mich von der Politik vergessen und zunehmend alleine und überfordert. Die psychologische Beratung an meiner Universität habe ich bereits ausgeschöpft und der nächste Schritt wäre jetzt, eine Therapie zu beginnen. Ich weiß, dass ich nicht alles von der Verbeamtung abhängig machen sollte, aber mein Traumberuf ist, seit ich denken kann, Lehrkraft zu werden. Das bin ich aktuell nicht bereit zu riskieren. Natürlich kann ich hoffen, dass meine Therapie bis dahin abgeschlossen sein könnte und dass ich trotzdem verbeamtet werde, aber das ist eine so unsichere Entscheidung – dieses Risiko kann ich nicht eingehen. In der Schule versuche ich meinen Schülerinnen und Schülern immer zu vermitteln, dass es wichtig ist, sich Hilfe zu holen: Wenn sie eine Aufgabe nicht verstehen oder wenn sie anderweitige Probleme haben. Ich selbst jedoch werde von meinem zukünftigen Arbeitgeber dazu gebracht, dies nicht zu tun. Wenn ich mich jetzt noch durch Staatsexamen und Referendariat kämpfe und danach eine Therapie beginne, kostet das den Staat gegebenenfalls mehr Geld, als wenn ich es einfach jetzt machen würde. Diese Logik erschließt sich mir nicht."
Als ich zum ersten Mal bei der psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks war, wurde mir dringend zu einer analytischen Psychotherapie geraten, gleichzeitig wurde mir jedoch mitgeteilt, dass dies eventuell Schwierigkeiten in der künftigen Verbeamtung nach sich ziehen könnte. Meine erste Reaktion: Unter keinen Umständen eine Therapie! Stattdessen versuchte ich mir so gut es geht selbst zu helfen. In den darauffolgenden zwei Jahren verschlimmerten sich jedoch meine Depression und Angststörung so stark, dass ich anfing, permanent suizidale Gedanken zu entwickeln. Mir wurde klar, dass ich ohne professionelle Hilfe und Bewältigung meiner Probleme überhaupt keine Zukunft mehr haben würde, egal ob mit oder ohne Verbeamtung. Somit blieb nur noch die Option, mich in einer analytischen Psychotherapie in Kombination mit Antidepressiva behandeln zu lassen. Dies war die beste Entscheidung meines Lebens – nach knapp einem Jahr fange ich allmählich an, wieder Licht in meinem Leben zu sehen. Schade finde ich, dass das anfängliche Zögern und weitere Leiden für zwei Jahre nicht hätten sein müssen. Hätte ich meine Therapie früher begonnen, hätten sich meine Symptome gar nicht erst so sehr verschlimmert. Zudem wäre ich vermutlich nie in Therapie gegangen, wäre es mir nur ein bisschen weniger schlecht gegangen und ich hätte, jetzt wo ich weiß, wie es sich anfühlt, einigermaßen gesund zu sein, ein schreckliches Leben weitergeführt. Dass aber sicherlich viele Lehramtsstudierende diesen Leidensweg einschlagen, finde ich sehr traurig. Dabei ist man nach Abschluss einer Therapie eine viel leistungsfähigere und reflektiertere Lehrkraft. Deshalb bin ich der Meinung, dass eine erfolgreich abgeschlossene Psychotherapie allgemein als eher positiv beim Amtsarzt bewertet werden sollte.
„Ich habe mit der Entscheidung, mir professionelle Hilfe zu suchen, sehr lange gerungen bis ich mich letztendlich – und glücklicherweise – doch darauf eingelassen habe. Zu Beginn meiner Therapie bekam ich die Diagnose „Anpassungsstörung“, das heißt, ich habe ständig den Drang und das Bedürfnis mich meiner (vor allem sozialen) Umgebung anzupassen, es also quasi allen recht zu machen, und das belastet mich in vielen Alltagssituationen sehr. Dies ist mir vor allem erst durch die Therapiegespräche richtig bewusst geworden, weswegen ich jetzt umso mehr dazu motiviert bin, diesen Weg bis zum Ende zu gehen. Allerdings wurde ich sowohl bei meiner eigenen Recherche über tiefenpsychologische Behandlungen als auch in den ersten Beratungssitzungen immer wieder darauf hingewiesen, dass dies eventuell einen negativen Einfluss auf meine Verbeamtung haben könnte. Bei allen Kontaktstellen war dieser Hinweis sehr präsent, was dazu führte, dass ich mir mehr und mehr die Frage gestellt habe, wieviele Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter wohl deswegen schon nicht verbeamtet wurden oder noch schlimmer – deshalb auf professionelle Hilfe verzichtet haben. Ich für meinen Teil habe noch relativ hohe Chancen auf eine Verbeamtung, da meine Diagnose eher mild ist und schon mit einer Kurzzeittherapie behandelt werden kann. (Hier möchte ich nur am Rande erwähnen, dass jede psychische Erkrankung ernstgenommen werden sollte – nur, weil andere „es schlimmer haben“, heißt das nicht, dass die eigenen Gefühle weniger wert sind.) Die Unsicherheit, wegen einer Therapie um seine Verbeamtung zu fürchten, übt enorm Druck auf Lehramtsstudierende in solchen Notlagen aus, für manche von ihnen ist eine Therapie vielleicht sogar die letzte Möglichkeit. Das halte ich als Bürgerin eines sogenannten „Sozialstaates“ für unfassbar erschreckend.“
Die Corona-Pandemie wirkt sich noch zusätzlich negativ auf die psychische Gesundheit vieler Studierenden aus. Existenzängste durch den Verlust des Jobs, fehlende soziale Kontakte, höherer Workload – all das trägt dazu bei, dass bestehende Problematiken verstärkt werden und neue entstehen. Die Anfragen bei den Beratungsstellen der Studierendenwerke sind im letzten Jahr immens gestiegen, vielerorts gibt es Wartezeiten.
Langfristig bleibt zu hoffen, dass die gesellschaftliche Sensibilität und Akzeptanz für psychische Erkrankungen steigt und sich Lehramtsstudierende ohne Angst vor der amtsärztlichen Untersuchung die Hilfe suchen können, die sie benötigen – um dann gestärkt durch Staatsexamen und Referendariat zu gehen. Denn wir wissen, wie dringend wir in den Schulen gebraucht werden!
Hannah Seifert studiert Gymnasiallehramt in München und ist als dritte Vorsitzende im Vorstand der Studierenden im BLLV aktiv.
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Heute blicken wir auf Depressionen bei Schüler:innen und ein tolles Projekt, das auf dieses wichtige Thema aufmerksam macht.