Pressekonferenz STEXIT: Schluss mit dem Lehrermangel - rein in ein modernes und faires Staatsexamen!
Die Studierenden im BLLV fordern mit ihrer Petition „Stexit – für ein faires Erstes Staatsexamen“ eine Modernisierung des Ersten Staatsexamens aller Lehrämter in Bayern und damit Fairness in Inhalt, Ablauf und Bewertung.
Mit dem Titel „Schluss mit dem Lehrermangel – rein in ein modernes und faires Staatsexamen“ luden die Studierenden im BLLV Vertreter:innen aus der Presse- und Medienlandschaft zu einer hybriden Pressekonferenz ein, um ihre bildungspolitischen Anliegen zu schildern. Vor Ort, in der BLLV Geschäftsstelle in München, begrüßten Laura Teichmann, 1. Vorsitzende der Studierenden im BLLV, und Hochschulreferentin Carina Schmidt die digital über Video zugeschalteten Journalist:innen sowie BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Außerdem waren vier weitere Teilnehmer:innen zugeschaltet, die ihre eigenen Erfahrungen mit dem bayerischen Staatsexamen anhand von persönlichen Beispielen erläutern sollten.
Laura Teichmann eröffnete die Pressekonferenz mit Informationen zur Entstehungsgeschichte der Stexit-Kampagne. Zunächst habe alles als Reaktion auf die Examensgeschichten betroffener Studierender begonnen, die jedes Jahr das BLLV-Hochschulreferat erreichten. Schnell sei ihnen klar geworden, dass da etwas mit dem Examen nicht stimmen könne. „Wir Studierende im BLLV haben uns dann vorgenommen: so kann und darf es nicht weitergehen!“
So sei die Idee zur Stexit-Kampagne und Petition sowie zum populären Instagramkanal lehramt_stexit entstanden (hier nehmen aktuelle Examenskandidat:innen ihre 3000 Follower mit in die Examensvorbereitung, beantworten wichtige Fragen rund ums Examen und geben Lerntipps). Teichmann betonte, dass die Schwundquote bei bayerischen Lehramtsstudierenden bei 40%* läge, was vor allem aktuell, in Zeiten akuten Lehrer:innenmangels fatal sei. Ein wichtiger Grund für diese Schwundquote sei das Staatsexamen, welches in seiner jetzigen Form den Studierenden jegliche Motivation, den Schuldienst anzutreten nehme. Im schlimmsten Fall führe das sogar zum Studienabbruch. Dies seien aber keineswegs Einzelschicksale.
„Wir nehmen Sie nun mit auf den Weg der Lehramtsstudierenden durch das erste Staatsexamen.“ Als nächstes kamen vier aktuelle und ehemalige Examenskandidat:innen aus verschiedenen Fächern und unterschiedlichen Universitäten zu Wort und erzählten von ihren Examensgeschichten und -erfahrungen. Zwischen den einzelnen Wortbeiträgen fasste Laura Teichmann immer wieder die einzelnen Forderungen aus der Stexit-Petition zusammen.
Christin Gleiß studierte Gymnasiallehramt in Würzburg für die Fächer Biologie und Englisch und ist aktuelle Examenskandidatin im Frühjahr 2021. Sie erklärte der lauschenden Presse, warum es im Lehramtsstudium in Bayern kaum möglich sei, die Regelstudienzeit (je nach Lehramt 7 bis 9 Semester) einzuhalten. Die Einhaltung der Regelstudienzeit sei sowohl an eine extrem strukturierte und planvolle Vorgehensweise sowie an eine passende Fächerkombination gekoppelt. Außerdem sei die Vorbereitungszeit (oft 6-12 Monate) auf das Staatsexamen nicht mit in die Regelstudienzeit einberechnet. Als zweiter Punkt sei zu nennen, dass das Konzept, wenn überhaupt, nur dann funktioniere, wenn die an der Uni besuchten Vorlesungen und Seminare tatsächlich auch ausreichend auf das Staatsexamen vorbereiten würden. Leider sei das aber wirklich weit weg von der Realität. „An meiner Uni beispielsweise habe ich in meinem Hauptfach Englisch 29 Kurse besucht. Davon waren nur einige wenige von den Inhalten relevant für das Staatsexamen. Wie ich mir also die restlichen Inhalte angeeignet habe, die ich letztendlich im Staatsexamen wiedergeben musste? Durch Eigenstudium.“, so Gleiß.
An ihrer Uni habe es teilweise vereinzelte Vorbereitungskurse gegeben. Allerdings kenne sie Standorte in Bayern wie zum Beispiel Passau oder Regensburg, an denen es keinerlei oder nur sehr wenige Vorbereitungskurse für die wichtigste Prüfung des gesamten Studiums gäbe. Diese Studierenden seien somit komplett auf ihr Eigenstudium angewiesen. Gleiß nimmt hier Bezug auf das Argument der Vergleichbarkeit: „Wenn das an jeder Uni so wäre, könnte man zumindest noch von Vergleichbarkeit sprechen - zwar einer unfairen Vergleichbarkeit, aber immerhin. Doch leider kommt es hier wirklich darauf an wo ich studiere, welches Fach und welches Lehramt. Die Vorbereitung auf das Staatsexamen ist so unterschiedlich wie es nur geht. Das kann bei einer zentralen Abschlussprüfung doch nicht sein, oder?”
“Diese Unterschiedlichkeit ist auch der Grund, weshalb wir in unserer Petition fordern, dass es an jeder Uni zu jedem Fach Vorbereitungskurse geben soll“, fügt Teichmann hinzu. Eine einheitliche Abschlussprüfung erfordere schließlich auch einheitliche Standards in der Vorbereitung.
Gerrit Kubicki studierte Englisch und Schulpsychologie in Eichstätt und schrieb sein Examen im Frühjahr 2020. Er begann seine Ausführungen zunächst mit dem Hintergrund der enormen Relevanz des Staatsexamens. Die Examensprüfungen seien deshalb so wichtig, weil sie 60% der Abschlussnote einer/s Lehramtsstudierenden ausmachten. Im Vergleich zu anderen Studiengängen sei das zwar keine Besonderheit, auch hier gäbe es finale Abschlussprüfungen, die über die Noten der Studierenden entscheiden. „Das Lehramtsstudium in Bayern ist allerdings deswegen eine Besonderheit, weil wir als Studierende bereits vor dem Examen ausführlich geprüft wurden. Wir sind damit einer doppelten Prüfungslast ausgesetzt“, erklärte Kubicki. Er sagt weiter: „In dem 7-10 semestrigen Studium werden von den Studierenden mindestens 40 - 60 Prüfungen absolviert.“
Die hohe Prüfungslast der Lehramtsstudierenden zeige sich auch daran, dass mit der Zulassungsarbeit am Ende des Studiums eine wissenschaftliche Arbeit im Umfang einer Bachelorarbeit anstehe. Für Bachelorstudierende sei es mit der Bachelorarbeit vorbei. „Bei uns geht es nach der Zulassungsarbeit erst so richtig los - nämlich mit den schriftlichen Examensprüfungen“, so Kubicki weiter.
Auch zu den Prüfungsformen nahm er noch Stellung und forderte hier dringend Alternativen. „Im Lehramtsstudium wird noch mit Methoden des letzten Jahrtausends geprüft wird, weil oft nur Wissen abgefragt wird. Damit vergibt sich der Staat leider auch die Chance zu prüfen, wer für den Lehrberuf eigentlich geeignet ist. Das fachliche Wissen der Lehrkräfte ist da nämlich nicht so wichtig wie andere Einflussfaktoren.“
Alternative Prüfungsformen, Gleichheit in den Prüfungsbedingungen sowie regelmäßige Veröffentlichungen von Statistiken seien ebenso Forderungen in der Petition, bemerkte Teichmann im Anschluss.
Als nächstes ging es um die Aufgabenstellungen im Examen, womit sich Christoph Schmidts, ehemaliger Vorstand und aktueller Examenskandidat, beschäftigt hatte. Ihm gehe es vor allem um die Transparenz, was nachvollziehbare Korrekturen mit Bewertungsbogen und die Reflexion des Prozesses der Aufgabenstellung bedeute. Das Problem beginne schon bei der Aufgabenstellung.
„Aktuell sind die Anreize für Aufgabensteller:innen so gesetzt, dass sie möglichst viel Arbeit vermeiden wollen, indem sie schlechte Aufgaben stellen und hoffen, dass diese nicht ausgewählt und wenig bearbeitet werde. Wenn sie doch ausgewählt werden, führen die Anreize dazu, dass die Korrektur häufig weder gewissenhaft noch ausführlich ausfällt, sodass überhaupt nicht nachvollziehbar ist, wie eine Note zustande kommt. Es gibt kein Feedback wie man es, bei Nichtbestehen, beim nächsten Mal besser machen könnte“, so Schmidts.
Teichmann verwies wieder auf die Forderungen in der Petition und dass der Prozess der Aufgabenstellung und Korrektur dringend reflektiert werden müsse.
Zuletzt kam Theresa Ploß, Psychologin aus Hamburg, an die Reihe, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie hat das Staatsexamen beim ersten Versuch nicht bestanden. „Nach zermürbenden Warten erhält man die Ergebnisse ohne Rahmen, ohne Erklärung oder Begründung. Waren all die Jahre Studium, all die Mühe wertlos? Wie soll es weitergehen?“
Zur Einsicht dürfe man nur Stift und Papier mitnehmen - die Prüfungen dürften weder mitgenommen, noch kopiert oder abfotografiert werden. Weitere Erläuterungen zur Korrektur habe es nicht gegeben. Sie habe sich eine neue Perspektive suchen müssen, ihre Pläne umwerfen. Und vor allem sich der Frage stellen, was der Zweitversuch bedeute und herausfinden, wie das zu organisieren sei. Es habe sich wie ein Spießrutenlauf angefühlt: Wie viel Lernzeit bleibt? Ist diese realistisch? Sie habe den Zeitpunkt für den Zweitversuch binnen zwei Wochen bindend entscheiden müssen. Trotz der teilweise unprofessioneller und massiv abwertender Kritik in der Einsicht, habe Ploß das Gefühl gehabt, eine Niete zu sein. Erneut anfangen zu lernen, ohne klare Vorstellungen, wo die Defizite lägen, sei besonders schwierig gewesen. "Nochmal in Kurse gehen? Sich in der “Ehrenrunde” zeigen?"
Sie habe alles auf eine Karte setzen und nochmal in alle Prüfungen gehen müssen, denn nicht einmal bereits bestandene Prüfungen seien erhalten geblieben. "Alles zurück auf Anfang." Dabei habe Ploß versucht, sich möglichst keine Gedanken über ihre letzte Chance zu machen. "Oder doch anfangen an einem Plan B zu arbeiten?" Immer wieder seien ihr unzählige Fragen durch den Kopf geschossen.
Das Bestehen in der zweiten Runde habe schließlich nicht das Erfolgsgefühl ausgelöst, das Ploß sich erhofft hatte. Es habe sie einfach schon zu viel gekostet. Sie entschied sich letztendlich gegen zwei weitere Jahre Referendariat mit Leistungsdruck, ähnlichen Bewertungssituationen und permanenter Intransparenz.
Sichtlich bewegt bedankte sich Teichmann für Theresas Mut und Offenheit, ihre Geschichte öffentlich mit den Anwesenden zu teilen. „Einen solchen Brief mit so einer Hiobsbotschaft ohne Informationen und Möglichkeiten über das weitere Vorgehen zu verschicken, ist in unseren Augen ein Unding - weshalb das eine weitere Forderung unserer Petition ist“, ergänzte Teichmann.
Die Notenbriefe kämen außerdem zu ganz unterschiedlichen Zeiten bei den Prüflingen an, und das teilweise mit mehreren Wochen Unterschied. Auch bei der Vorbereitungszeit auf eine Wiederholung oder Notenverbesserung müsse unbedingt Chancengleichheit herrschen, hielt Teichmann die letzte Forderung der Petition fest. Sie hoffe sehr, so Teichmann zum Schluss, verdeutlichen zu können, wie das Staatsexamen in der jetzigen Form seinen Teil zu der Schwundquote von über 40%* im Lehramtsstudium beitrage.
„Wir Lehramtsstudierende möchten Lernen. Wir möchten unser Studium erfolgreich absolvieren, um dann in die Schulen zu den Kindern zu dürfen, denen wir so vieles geben möchten. Wir möchten aber auch fair behandelt werden und nach den gleichen Gütekriterien geprüft werden, nach denen wir später in der Schule prüfen sollen und möchten. Dafür müssen wir weg von den Prüfungen des letzten Jahrhunderts und ein faires und modernes 1. Staatsexamen schaffen. Dafür brauchen wir den Stexit!“
*Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik: Studierende an den Hochschulen in Bayern. Online verfügbar unter: www.statistik.bayern.de; Eigene Berechnungen.