Die Suche nach dem gelingenden Leben

Was macht ein gelingendes Leben aus?

Diese Frage hat Philosophen und Gelehrte schon immer beschäftigt. Sie konnte aber erst mit dem Einläuten der Moderne für immer mehr Menschen in den Mittelpunkt ihres Lebens rücken. Moderne Gesellschaften schafften hierfür die Freiräume, indem sie nicht nur den Weg hin zu einer rechtsstaatlichen Demokratie und einem historisch beispiellosen materiellen Lebensstandard ebneten, sondern auch die Autonomie des Individuums zu einem zentralen Gut machten.

Wir selbst und nicht mehr die Familie oder die Gesellschaft sollten darüber entscheiden, was wir mit unserem Leben machen wollen, was unsere „wahre“ Berufung ist und folglich wie wir die Frage eines gelingenden Lebens beantworten wollen.

Gleichwohl brachten moderne Gesellschaften diese sozialen Errungenschaften unter Bedingungen hervor, die die Beantwortung dieser Frage zunehmend erschwert haben. Die Grundlogik kapitalistischen Wirtschaftens zwingt uns dazu permanent ökonomisch zu wachsen und innovativ zu sein: Ökonomische Aktivität kommt ja nur dann in Bewegung, wenn es ein Versprechen auf einen Gewinn gibt. Diese vorherrschende Steigerungslogik wird in modernen Gesellschaften durch das alles durchdringende Wettbewerbsprinzip angefeuert.

Um beispielsweise einen Beruf, Geld, Privilegien, Lebenschancen, Status oder Anerkennung zu erlangen, müssen wir permanent versuchen andere zu übertreffen.

Da jeder versucht dies zu tun, bedeutet „Stillstehen“ (d.h. nicht mehr Wissen, Fähigkeiten, Auslandserfahrungen, Netzwerke, etc. zu generieren) sozial zurückzufallen. Dies hat in unserer Gesellschaft zu einem tiefen Gefühl der Unsicherheit und Angst geführt nicht mithalten zu können. Da wir oftmals ratlos in einem Meer von Antwortmöglichkeiten auf die Frage eines gelingenden Lebens schwimmen und gleichzeitig unter fortwährendem Steigerungszwang stehen, setzen wir lieber erstmal alles darauf die Grundvoraussetzungen für ein gelingendes Leben zu optimieren: Familie, Freunde, Gesundheit, Geld, Bildung, Ansehen usw. Die Vorstellung ist Folgende: Davon mehr zu haben ist immer besser als weniger zu haben. Mit ihnen kann man in jedem Fall im Steigerungswettrennen mithalten und gleichwohl sich Wünsche erfüllen, Dinge kaufen, Orte erreichen oder Selbstverwirklichungspotenziale nutzen. Kurzum sie bringen ganz viel Welt in Reichweite. Mit der Zeit sind jedoch diese Grundvoraussetzungen und die damit verbundene grenzenlose Weltreichweite selbst zum Maßstab eines gelingenden Lebens geworden.

Unsere steigerungsorientierte Lebensführung wurde gewissermaßen Spiegelbild der kapitalistischen Gesellschaft.

Warum ist es jedoch oftmals so, dass Menschen über diese Grundvoraussetzungen und ganz viel Weltreichweite verfügen und dennoch unglücklich sind oder vieles davon nicht haben, aber glücklich sind? Obwohl wir in modernen Gesellschaften die strikte Vorstellung haben, dass jeder für sich selber die Frage eines gelingenden Lebens beantworten muss, heißt das noch lange nicht, dass man gar nichts darüber sagen, wann ein Leben gelingt oder misslingt.

Der Soziologe Hartmut Rosa würde sagen, dass nach der Erfüllung der Grundbedürfnisse, wie Essen oder soziale Beziehungen, ein gelingendes Leben in erster Linie nicht mehr von der Weltreichweite abhängt (d.h. möglichst viele Orte zu bereisen, viel zu besitzen, viele Freunde oder Zugang zu grenzenlosem Medienentertainment zu haben), sondern von der Qualität der Beziehung zu unserer Welt.

Es geht vielmehr darum mit Teilen unserer Welt auf eine Weise in Kontakt zu kommen, dass sie zu uns spricht, uns berührt und etwas bedeutet und wir gleichzeitig uns selbstwirksam erfahren, indem wir die andere Seite ebenfalls erreichen.

Wir alle kennen solche Momente bzw. Erfahrungen. Zum Beispiel, wenn wir ein authentisches und berührendes Gespräch mit jemandem führen, wenn wir etwas gemeinsam schaffen, das für alle Beteiligten von Bedeutung ist oder wenn wir an einem wunderschönen Ort in der Natur sind, an dem wir uns mit unserer Umgebung zutiefst verbunden fühlen. Diese Art von Beziehung ist für Rosa eine Resonanzbeziehung. Er interpretiert menschliches Begehren per se als Resonanzbegehren. In der heutigen Gesellschaft wird Resonanz jedoch durch den zunehmend selbstzweckhaften Steigerungs- und Beschleunigungsdrang permanent untergraben.

Für Resonanz brauchen wir nämlich Zeit und Stabilität.

Wir müssen uns angstfrei fühlen und Vertrauen in uns selbst und unsere Welt haben. Ferner können wir Resonanz nicht im Modus der Steigerungs-, Optimierungs- und Wettbewerbslogik erlangen. Zum einen schaffen wir in diesem Modus kein „gegenseitiges Berühren“, sondern „gegenseitiges Beherrschen und Instrumentalisieren“. Zum anderen können wir Resonanz nicht steigern oder optimieren, weil es unverfügbar ist. Wir können uns bspw. ein sehr teures Konzert oder eine Reise auf eine Paradiesinsel leisten, endlich den idealen Job erringen, immer wieder unser Lieblingslied hören oder ein „perfektes“ Weihnachten planen und es kann sogar in das Gegenteil von Resonanz resultieren, d.h. in eine Entfremdungserfahrung (es bedeutet/ berührt mich nicht). Wenn es also stimmt, dass Resonanz zentraler Bestandteil eines gelingenden Lebens ist, dann könnte Rosas Resonanztheorie eine Art Kompass für positive Veränderungen in der Gesellschaft und in unserem eigenen Leben sein.

Der Autor: Florian Koch