Vom Lehrenden zum Lernenden - Als Auslandspraktikant in Namibia

Ein 500-Seelen Dorf in den Weiten des afrikanischen Buschs im Norden von Namibia. Dort unterrichtete unser 36-jähriger Autor ein Jahr lang als Auslandspraktikant an der Primary School. Mit völlig unerwarteten Lerneffekten – auch für ihn selbst.

Von Florian Kubiak

Als ich in Ombili ankam, bot sich mir eine Art Osterhasen-Schauspiel: Überall Kinder, die eifrig suchten und sammelten. Allerdings waren sie nicht hinter Schoko-Eiern her, sondern hinter Raupen. Die gelten als Delikatesse. Es war eine freudvolle Zeit für die Kinder vom Stamm der San, denn zugleich begann der Flug der Termiten. So liefen sie nicht nur mit Raupen sondern auch mit Tüten, Dosen oder Händen voll lebender Termiten umher und verknusperten sie wie Chips. Ich als Neuankömmling bekam besonders große Exemplare angeboten. Da steht man dann als bayerischer Schweinsbratenliebhaber und fragt sich, wie zum Teufel bin ich nur hierher geraten.

Ombili - manche nennen es das Ende der zivilisierten Welt. Für die Menschen dort ist es der Vorposten einer einer neuen Welt, auch der Schulbildung wegen. Früher lebten sie als Nomaden, immer auf der Suche nach Wasserstellen und Nahrung. Sie gehören zum Stamm der San, der als eines der Urvölker der Menschheit gilt. Irgendwann aber mussten sie den Schritt in die Sesshaftigkeit wagen. Bei mir war es genau umgekehrt: Ich gehöre zum eher sesshaften Stamm der Mittelfranken und hatte schon immer den Traum, weit weg zu reisen, in einem Entwicklungshilfeprojekt mitzuwirken. Und so gelangte ich auf Vermittlung der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen an die Ombili Stiftung, die mich für die Ombili Primary School engagierte.

Mit dem Ententanz in den Unterricht

„Ombili“ bedeutet „Frieden", oder: „Die in Frieden wohnen“. Es stammt aus der Oshivambo-Sprache, die fast nur aus Klack- und- Klicklauten besteht. Sie ist für Europäer kaum zu erlernen, unsere Zungenmuskulatur ist dafür nicht ausgebildet. Am Ende konnte ich sie immerhin halbwegs verstehen. Amtssprache in Namibia ist Englisch, doch die Buschleute sprechen es eher schlecht, die Kinder in den ersten Klassen gar nicht. So hatte ich im Unterricht immer einen einheimischen Übersetzer an meiner Seite. Jeder Satz, jede Anweisung musste übersetzt werden.

Die Farm, die das Ortszentrum von Ombili darstellt, heißt „Hedwigslust“. Das Land, ein Areal von rund 30 Quadratkilometern, haben die San vor über 20 Jahren von einem deutschstämmigen Farmer bekommen. In den teilweise über 80 Jahre alten Gebäuden wurden Werkstätten, eine Sanitätsstation, ein Internat und eben eine Schule eingerichtet. Die Menschen – gut die Hälfte davon Kinder - leben in drei kleinen Dörfern in ihren traditionellen Holz- und Lehmhütten im Busch um die Farm herum. Ombili ist auf dem Konzept Hilfe zur Selbsthilfe aufgebaut. Die Schulbildung ist ein Grundpfeiler der Ombili Stiftung.

Rund 210 Kinder besuchen die Schule in den Jahrgangsstufen eins bis sieben. Allesamt trafen sich jeden Montag mit ihren Lehrern in der ehemaligen Scheune. Zur „Assembly“ sangen und tanzten sie, und eröffneten so die neue Schulwoche. Oder besser: wir. Denn von der ersten Minute an nahm ich an traditionellen Tänzen teil, ob ich wollte oder nicht. Schon faszinierend: Ich, der es in meiner fränkischen Heimat nie gewagt hätte, vor Menschen zu singen oder zu tanzen, stand plötzlich mit wildfremden Menschen in einem Kreis und und wurde einfach mitgerissen von der unbekümmerten und fröhlichen Art der Menschen Ombilis. Ich revanchierte mich mit dem Ententanz. Das deutsche Humtata-Lied und die Ulk-Bewegungen dazu wurden der Superhit, der mich hunderte Male begleitete.

Nach derAssembly begann der Unterricht. Unterricht? Zumindest in den ersten Wochen gab es keinen Stundenplan. Als frisch von der Uni abgegangener, korrekter deutscher Lehramtsanwärter hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal mit zwei bis drei Kolleginnen in einer Klasse von 35 Schülerinnen und Schülern stehen und diskutierten würde, welches Fach gleich gehalten werden solle. Englisch? Rechnen? Landwirtschaftskunde? Im Angebot waren auch Biologie, Musik, Kunst oder Sport. Und überhaupt, warum ich eigentlich auf den Stundenwechsel poche. Zeit, das wurde mir schnell klar, spielt bei den San eine andere Rolle als bei uns zuhause mit unseren auf die Dreiviertelstunde getakteten Schultagen.

Glocken sind zum Lärmen gut

Ich war der einzige Lehrer mit Uhr und wurde somit gleich am zweiten Tag zum Zeitbeauftragten ernannt. Meine Aufgabe bestand darin, zum Stundenwechsel, zur Pause und zum Schulende mit dem Stahlschlegel auf die Schulglocke zu hämmern, eine alte aufgeplatzte Gasflasche. Eines Tages sollte wieder der Stundenwechsel zur 4. Stunde eingeläutet werden und ich hatte in guter pädagogischer Absicht des Belohnens einen Schüler damit beauftragt. Ich hätte die Aufgabe wohl besser erklärt. So, wie man hier aber auch wirklich alles sehr oft und sehr genau erklären muss. Der Schüler raste in freudig zur Glocke und schlug wie wild auf sie ein. Fatalerweise, denn: Das Zeichen zum Stundenwechsel sind ein oder zwei Schläge, nur zum Schulende wird wild gebimmelt. Hätte ich vielleicht dazusagen sollen.

Das Ergebnis: Großes Geschrei und Jubel, freudig strahlende Gesichter. Alle rasten an mir vorbei, auch die sechs Lehrer packten zufrieden ihre Sachen und gingen samt Schulleiterin nach Hause. So stehst du dann als deutscher Glockenbeauftragter da und reibst dir die Augen: Zweieinhalb Klassen von sieben waren samt Lehrerinnen unauffindbar, die wieder zurückbeorderten Schüler stinksauer, weil sie noch bleiben mussten, und ich um eine Erfahrung reicher.

Monsterkäfer rollten Stinkkugeln herein

Von solchen Dingen hatte ich oft nach Hause zu berichten – wenn ich Netz hatte. Das war eher selten. Netze von Spinnen gab es dafür genug. Und Tag für Tag jede Menge anderes Getier. Moskitos natürlich. Und Monsterkäfer, die Mistkugeln herumrollen. Sehr lustig, wenn dir einer seine stinkenden Kugeln in die Wohnung rollt. Du machst die Tür auf, und schon wieder rollt Fred, wie wir Europäer von Ombili irgendwann jedes Exemplar dieser Art scherzhaft nannten, schon wieder also rollt Fred Mistkugeln rein, und – nein, zum zehnten Mal: ich brauch' keine Mistkugeln in meiner Küche! Die Kakerlake fand den Weg durch die Toilette nach draußen. Nur die Gottesanbeterin am Abend in der Küche wurde aggressiv und drohte mit den Scheren.

Da waren auch Erdmännchen und aufdringliche Affen, Kudu-Springböcke und Antilopen, Giraffen und - Leoparden. „Nein, Mister Kubiak, ganz ruhig!“, hieß es immer wieder, die sind für Menschen eigentlich nicht gefährlich. Nur für Kinder, alte Leute und solche, die im Busch aufs Klo gehen. In der ersten Woche begnete mir eine Schlange, die war aber nur bedingt giftig, wie ich dann erfuhr. Bei einem Biss sterbe höchstens der Arm ab. Ombili liegt genau an der „Veterinärslinie", da sind keine Zäune erlaubt. Dieser Umstand beeinflusste natürlich auch immer wieder meinen Unterricht: Zwischen Einmaleins und Alphabet hielt ich immer wieder Ausschau nach Schlangen und Löwen. Man wird hier vom Lehrenden sehr schnell zum Lernenden - und neidisch: Schon die kleinsten Kinder haben ein enormes Wissen über Land und Natur.

"Der Tag kommt, der Tag gibt"

Das Unterrichten war auch aus ganz trivialen Gründen ständige Herausforderung. Zum einen wegen der Sprachbarrieren. Zum anderen mangelte es immer wieder an den einfachsten Dingen: Bleistifte, Kugelschreiber, Hefte, Papier, Klebstoff, Scheren - Dinge, die an deutschen Schulen selbstverständlich sind. Aber so etwas macht dich zum Improvisationskünstler. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal selbst Kohlestifte herstellen würde. Die Schüler waren trotz allem unglaublich motiviert und wissbegierig. Ständig löcherten sich mich mit Fragen, und wenn der Unterricht einmal ausfallen musste, waren sie ernsthaft betrübt.

Das Improvisieren, dieses Aus-dem-Nichts-einen-sinvollen-Unterricht-Kreieren, blieb Herausforderung. Mehr und mehr aber lebte ich das Motto der Leute von Ombili: „Der Tag kommt, der Tag gibt." Auch in Deutschland kommt der Tag und gibt - einen Überfluss an Dingen, die wir nicht wirklich brauchen. Mit einfachen Sachen und Begebenheiten umgehen lernen, die wirklich wichtigen Dinge des Lebens wahrzunehmen, die Natur, andere Mitmenschen, zu sich selbst zu finden, das haben mich die Ombili gelehrt.

Bearbeitung: Chris Bleher

 

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